Die Haskalabibliothek im Steinheim-Institut - eine erste Präsentation

Thomas Kollatz

Dieser erste Studientag zur Haskala verdankt sich dem Erwerb einer umfangreichen Bibliothek hebräischer Werke der Aufklärung. Entdeckt auf einer erfolgreichen "Bücherfahrt" im Dezember 1997 im renommierten Amsterdamer Antiquariat Spinoza, konnte sie schon wenig später für das Institut, seine Projekte und die interessierte, wissenschaftliche Öffentlichkeit erworben werden. Die ersten drei Vorträge des heutigen Tages beleuchten die Steinheim-Sammlung aus unterschiedlicher Perspektive.

Zentrum auch jüdischer Aufklärung wurde im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die preußische Hauptstadt Berlin, Zentrum der "Gelehrten und Schreiber" unter Friedrich II. Die ‎‏עיר חכמים וסופרים‏‎ zog jüdische Intellektuelle an, die vielseitig, produktiv und kreativ eine Erneuerung jüdischer Tradition in die Wege leiten. Gesellschaften werden gegründet, Zeitschriften herausgegeben und eine Vielzahl Schriften und Traktate gedruckt. Moses Mendelssohn (1729-1786), seine Alters- und Zeitgenossen - Naphtali Wessely (1772-1805), Isaak Satanow (1732-18]04), Salomo Dubno (1738-1813) und die Folgegeneration - David Friedländer (1750-1834), Ahron Wolfson-Halle (1754-1835), Isaak Euchel (1756-1804), Salomon Kohen (1772-1845) und Mendel Breslauer (1786-1829) trieben diese genuin hebräisch-jüdische Aufklärung an. Rund 180 gedruckte Zeugnisse hebräischer Aufklärung herausgegeben in Amsterdam, Breslau, Dessau, Hannover, Prag oder Wien sind im Steinheim-Institut präsent. Mit rund 80 Titeln markiert Berlin den intellektuellen wie verlegerischen Mittelpunkt dieser Bewegung. 1780 erscheint mit Moses Chaim Luzattos (1707-1746) Lehrgedicht "LaJescharim Tehila" (Lob der Aufrechten) das erste zweifelsfrei der Druckerpresse der Berliner Freischule zuzuordnendes Werk. Eine Druckstätte, die für die nächsten drei Jahrzehnte die Druckerei der hebräischen Aufklärung schlechthin sein sollte. Aus der Fülle der Bücher kristallisieren sich programmatische Interessen der Maskilim heraus. Als die weithin bekanntesten Druckerzeugnisse der Berliner Aufklärung dürften die zahlreichen Übersetzungen biblischer Bücher gelten.

Die von Mendelssohn initiierte Pentateuchedition mit deutscher Übersetzung in hebräischen Lettern und hebräischem Kommentar erschien unter dem Titel Netivot Schalom (Pfade des Friedens) ab 1783 bei Georg Friedrich Starcke in Berlin. Die Übertragung ruhte auf mehreren Schultern, neben Mendelssohn waren Salomon Dubno, Naphtali Wessely, Herz Homberg und Aron Wolfssohn-Halle beteiligt. Der Pentateuchübertragung sollten weitere Übersetzungen folgen. Unter neun angekündigten Titeln in einem Verlagsprogramm der Freischule aus dem Jahre 1789 sind allein vier Übersetzungen: Klagelieder übersetzt von Aron Wolfssohn-Halle, Jona übersetzt von Joel Brill, Kohelet übersetzt von David Friedländer und als Vorankündigung Isaak Euchels Proverbia Übertragung. Von letzterer besitzt das Steinheim-Institut ein durchschossenes Exemplar, ehemals im Besitz der Familie Friedländer. Bemerkenswert sind die zahlreichen, in hebräischer Kursivschrift verfassten deutschen Marginalien von David Friedländers Hand. Euchel hatte die Übersetzung "zur Übersicht und Verbesserung, bey de zweyt. Ausgabe übergeben".

Mit einer Vielzahl, größtenteils kommentierten Neuauflagen mittelalterlicher Werke verschiedenster Genres knüpfen die Maskilim an philosphische, sprach- und naturwissenschaftliche und poetologische Traditionen an.

Unverkennbar ist das pädagogische Interesse jüdischer Aufklärer, die versuchen ihre Leserschaft auf die intellektuelle und moralische Höhe der Zeit zu heben, wobei sie sich Enzyklopädien und Lexika bedienen und Unterrichtsmaterialien für Schule und Selbstunterricht bereitstellen: Schul- und Lehrbücher, Wörterbücher und Grammatiken und Moralfibeln:

Denn konsequentesten Vorstoß hebräische Sprache zu (re)aktivieren dokumentiert die zeitgenössische säkulare Poesie. So ist Salomon Kohens Mate Kedem al admat Zafon der Pflege morgenländischer Sprache auf nördlichem Boden verpflichtet. Eine Sammlung neuer hebräischer Poesien mit deutscher Übersetzung, die einerseits vom Vermögen poetischen Umgangs im deutschen Idiom, andererseit aber auch wachsendem Unvermögen im Verständis der heiligen Sprache bezeugt. Die dem Werk vorangestellte Rechtfertigung des Autors spiegelt diese Ambivalenz:

"Gegenwärtige morgenländische Pflanzen, die ich auf nördlichem Boden zu verpflanzen versuche, sollen auch ein Schärflein zur Verbesserung und Verbreitung der hebräischen Lektüre beitragen. Sie sollen [...] die Möglichkeit zeigen, wie sehr man auch, mittels einer richtigen grammatischen Analogie und angemessener Wendungen, diese alte orientalische Sprache kultivieren und beleben kann; oder, um bestimmter zu reden, wie man neuere Ideen und Redensarten mit hebräischen Wörtern ausdrücken kann, ohne dem Genius dieser Sprache zu nahe zu kommen. Wenn auch der Vorwurf der Armuth, den man der hebräischen Sprache macht, schon dadurch gegründet ist, weil sie schon beinahe 2000 jahre [...] aufgehört hat, eine lebendige Sprache zu sein: so getraue ich mich doch [...] zu behaupten, daß sie einst wörterreich war, und daß in den wenigen Denkmälern, die wir von ihr übrig haben, Keim und Wurzeln genug vorhanden sind, neue, uns fehlende Wörter zu schaffen und zu bilden. Ich habe aber darum eigne Sujets gewählt und sie poetisch bearbeitet, und nich zu meinem Zwecke irgend ein deutsche Werk übersetzt, weil ich das, was ich sage gern bei dieser Gelegenheit sagen wollte".

So dokumentieren die Werke der hebräischen Aufklärung wie virtuos jüdische Aufklärer die Sprachregister bespielten, in unterschiedlichen Genres heimisch wurden, um mit Sprachlehre gegen Sprachlosigkeit anzukämpfen.